Krankheit ist ein einträgliches Geschäft und Pharmakonzerne sind gerne bereit, Millionen Euro an den richtigen Stellen zu platzieren, um ihre Medikamente genehmigt zu bekommen. Doch das scheint noch nicht einträglich genug: die Renditen können weiter gesteigert werden – es kostet ggfs. nur den Tod von Menschen.
Gefälschte Medikamente – gepanscht, gestreckt, gefälscht!
Solche Titel klingen drastisch, aber von Panikmache kann keine Rede sein. “Kein Land bleibt von diesem Problem unberührt, das erstreckt sich von Nordamerika und Europa über Afrika, Südostasien und Lateinamerika”, warnt die WHO eindringlich. “Was einst vor allem als Problem der Entwicklungsländer gesehen wurde, ist inzwischen ein Thema für alle. Mit dem Anstieg der weltweiten Verbindungen und den Möglichkeiten des Internets haben die Hersteller und Vertreiber gefälschter und gepanschter Medikamente längst Zugang zum globalen Markt.”
Die investigative Doku 2017 „Gefälschte Medikamente – gepanscht, gestreckt, gefälscht!“ der ARD zeigt anhand von Recherchen, wie es um die Medikamentensicherheit in Deutschland bestellt ist. Gestützt auf vertrauliche Dokumente und Ermittlungsakten, auf Aussagen von Whistleblowern, Ermittlern und Experten, entsteht das Bild einer Branche, in der einzelne Unternehmen meschliches Leid in Kauf nehmen, um die Rendite zu steigern.
Rendite gesteigert – Patient tot
Ursprünglich sollen Medikamente den Menschen helfen und der Gesundheit dienen. Doch die Realität sieht anders aus. Das jedenfalls meint nicht nur der dänische Mediziner Peter Gøtzsche, der zunächst für Arzneimittelhersteller arbeitete und heute das Nordic Cochrane Center in Kopenhagen leitet. Seine These: Die Pharmaindustrie bringt mehr Menschen um als die Mafia. Er hält das gegenwärtige System der Arzneimittelproduktion, -vermarktung und -überwachung für gescheitert.
Aus Sicht des Mediziners gibt es zahlreiche Beispiele dafür, dass Pharmaunternehmen Mittel auf den Markt brachten, die schädlich und teilweise sogar tödlich waren – wie etwa das Schmerzmittel Vioxx von Merck. Es sei ohne ausreichende klinische Dokumentation auf den Markt gekommen, obwohl bekannt gewesen sei, dass es ein Herzinfarktrisiko darstellt und zum Tod führen kann. Den Schätzungen des Wissenschaftlers zufolge kamen deshalb rund 120 000 Menschen ums Leben. Allein das Antipsychotikum Zyprexa von Eli Lilly kostete laut Gøtzsche etwa 200 000 der 20 Millionen Patienten weltweit das Leben. „Die Pharmaunternehmen sind deshalb sogar schlimmer als die Mafia. Sie bringen viel mehr Menschen um.“
Allerdings verdanke man Medikamenten auch eine gute Gesundheit und hohe Lebenserwartung: „Natürlich gibt es Mittel, die mehr Nutzen als Schaden bieten“, bestätigt Gøtzsche – speziell im Kampf gegen Infektionen, Herzkrankheiten, einige Krebsarten und Diabetes vom Typ 1. „Aber im Verhältnis zu der Menge der Mittel, die verschrieben werden, profitieren nur wenige Menschen tatsächlich davon. Weil Kranken viel zu häufig Arzneien verschrieben werden. Weil die Firmen sogar wollen, dass auch gesunde Menschen ihre Mittel nehmen.“ Er geht davon aus, dass 95 Prozent des für Arzneimittel ausgegebenen Geldes eingespart werden könnte. Menschen könnten dann vermutlich sogar ein längeres und glücklicheres Leben führen. Doch weil die Pharmaindustrie „extrem mächtig und finanziell unglaublich gut ausgestattet“ sei, bleibe die Politik untätig.
Zulassungsbehörde FDA – Interessenskonflikte und Korruption an der Tagesordnung?
Auch die Zulassungsbehörden machen laut Prof. Gøtzsche „einen ziemlich schlechten Job“ – vor allem die FDA in den USA. „In dieser Behörde gibt es eine Menge Interessenkonflikte und Korruption.“ Im Zweifel entscheide die Behörde eher zugunsten der Pharmaindustrie als zugunsten der Patienten. Weil Studien der Pharmabranche letztlich nur für die Werbung taugten, fordert der Pharma-Kritiker, dass sie immer von unabhängigen Wissenschaftlern vorgenommen werden sollten. „Wir brauchen eine Revolution im Gesundheitswesen: Unabhängige Medikamenten-Tests, für die die Industrie weiterhin zahlen könnte“ – inklusive Veröffentlichung aller Studiendaten, auch der negativen. Außerdem sollte Werbung für Medikamente – auch innerhalb von Fachkreisen – verboten werden
Pharmakonzerne versuchen mit Tricks, die Verschreibungen ihrer Medikamente zu steigern
15 000 Pharmavertreter besuchen jährlich 20 Millionen Mal deutsche Praxen und Kliniken. Doch selbst wenn Mediziner über ihre Nähe zu Pharmafirmen berichten, hat das bislang kaum Konsequenzen. In den USA wie auch in Deutschland müssen Mediziner seit dem Jahr 2011 Interessenskonflikte offenlegen, wenn sie zum Beispiel als Experten an neuen Therapieleitlinien arbeiten. “Die Betroffenen stimmen in den Kommissionen trotzdem über die neue Behandlung ab”, sagt Christiane Fischer, Geschäftsführerin von Mezis, der “Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte”.
“Es fehlt in Deutschland noch immer an Problembewusstsein“, sagt Klaus Lieb, Vorsitzender des Fachausschusses für Transparenz und Unabhängigkeit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.
Das gilt besonders auch für Ärzte, die auf Twitter Ratschläge zu Gesundheitsthemen verbreiten. In einer JAMA-Studie berichten Forscher, dass 80 Prozent der 634 auf Twitter aktiven amerikanischen Hämatologen Geld von der Industrie erhalten. Davon erfahren ihre Follower jedoch nichts.
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Quellen:
http://www.sueddeutsche.de/gesundheit/medizin-unanstaendige-naehe-1.3338114