Aktuell gibt es nur wenige Themen, die derart viel Aufmerksamkeit und Aufregung erhalten wie die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz. Macht uns die KI das Leben und Überleben einfacher und ist der Garant für einen kaum vorstellbaren Fortschritt der Menschheit – oder stellt sie eine Gefahr für uns alle dar? Es ist eine komplexe Debatte mit unschätzbarer Wichtigkeit, in der sich die Geister scheiden. Zum einen, weil die Chancen und Risiken vom Einsatz einer künstlichen Intelligenz gewaltig sind. Zum anderen liegt es daran, dass viele wichtige Aspekte über KI unbekannt oder kaum einschätzbar sind. Was ist künstliche Intelligenz, kann sie selbstbewusst sowie empfindsam sein und welche Bedeutung wird sie in Zukunft für uns haben?
Ein Gastbeitrag von Daniel Pinchbeck.
Voraussetzungen für das Entstehen von intelligentem Leben
Um die Frage nach der Empfindungsfähigkeit einer künstlichen Intelligenz zu erforschen, müssen wir ein wenig zurückgehen. Welches Modell der Realität haben wir in unserem Kopf? In „Die geheime Geschichte der Welt“ erforscht Mark Booth die Darstellung der kosmischen Geschichte in der esoterischen Philosophie und der westlichen hermetischen Tradition.
“Für die Wissenschaft ist das große Wunder, das es zu erklären gilt, das physikalische Universum, für die esoterische Philosophie ist das große Wunder das menschliche Bewusstsein.”
Die geheime Geschichte der Welt von Mark Booth
Viele Wissenschaftler sind fasziniert von “der außergewöhnlichen Reihe von Gleichgewichten zwischen verschiedenen Faktoren”, die das Leben überhaupt möglich machten. Dazu gehören verschiedene Faktoren, wie die Entfernung der Erde von der Sonne, die Masse sowie Größe unseres Heimatplaneten, klimatische Bedingungen und noch viele mehr. Dieses Universum scheint genau darauf abgestimmt zu sein, die Entstehung von biologischem Leben zu ermöglichen.
Dem esoterischen Denken zufolge, so Booth, “war eine ebenso außergewöhnliche Reihe von Gleichgewichten notwendig…, um unserer Erfahrung die Struktur zu geben, die sie hat.” Wir besitzen ein beständiges Gefühl der individuellen Identität, des freien Willens und der moralischen Handlungsfähigkeit. Wir haben einen Quotienten aus Gedächtnis und Erinnerung.
“Das Gedächtnis muss stark genug sein, damit wir handeln können, ohne zu vergessen, was wir tun wollten… aber es muss auch schwach genug sein, damit wir uns weiter in die Zukunft bewegen können.”
Italo Calvino
Ohne unsere besonderen Beschränkungen und Kompromisse “wäre es uns nicht möglich, freies Denken oder freien Willen auszuüben.” schreibt Booth.
Die rasante Weiterentwicklung der KI
Esoterische Denker halten es für offensichtlich, dass die besonderen Freiheiten und die Bandbreite der Möglichkeiten, die der Mensch besitzt, nicht zufällig oder unbeabsichtigt sind. Unserer Erfahrung liegt ein Substrat von Sinn, Absicht und Zweck zugrunde. Wir sind eingebettet in eine besondere Art von Weltgeschichte. Für Esoteriker dreht sich die Handlung dieser Geschichte um die Entwicklung des menschlichen Bewusstseins über lange Zeitspannen hinweg.
Ich finde es hilfreich – ja sogar notwendig – die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz in diesem größeren Kontext von Mythos und Wirklichkeit zu betrachten. In letzter Zeit habe ich mich mit der Frage beschäftigt, ob die künstliche Intelligenz empfindungsfähig und selbstbewusst wird oder nicht. Ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken. Bis vor kurzem hielt ich es nicht für möglich.
Kann KI uns überhaupt das Wasser reichen?
Vor kurzem habe ich mit dem idealistischen Philosophen Bernardo Kastrup über diese Frage gesprochen. Kastrup hat mich vorübergehend davon überzeugt, dass ein synthetisches Bewusstsein nicht in Frage kommt. Seiner Meinung nach ist unsere subjektive Erfahrung des Selbstbewusstseins ein Auswuchs biologischer und metabolischer Prozesse, auf die keine Maschine zugreifen kann.
Ein lebendes Gehirn basiert auf Kohlenstoff, verbrennt ATP zur Energiegewinnung, verstoffwechselt zur Funktion, verarbeitet Daten durch die Freisetzung von Neurotransmittern, ist feucht und so weiter. Ein Computer basiert auf Silizium, nutzt einen Unterschied im elektrischen Potenzial zur Energiegewinnung, bewegt elektrische Ladungen zur Funktion, verarbeitet Daten durch das Öffnen und Schließen von elektrischen Schaltern und, und, und. Sie sind völlig verschieden.
Die Isomorphie zwischen KI-Computern und biologischen Gehirnen findet sich nur auf sehr hohen Ebenen rein konzeptioneller Abstraktion. Sie liegen weit entfernt von der empirischen Realität, in der körperlose – und somit medienunabhängige – Muster des Informationsflusses verglichen werden. Um an bewusste KI zu glauben, muss man also willkürlich alle Unähnlichkeiten auf konkreten Ebenen verwerfen. Dann kann man sich – ebenso willkürlich – dafür entscheiden, nur eine sehr hohe Abstraktionsebene zu berücksichtigen. So lassen sich auf der abstrakten Ebene einige vage Ähnlichkeiten. Für mich ist dies aber nicht mehr als ein Ausdruck reinen Wunschdenkens, das sich nicht auf Gründe oder Beweise stützt.
Die Gefahren für die Menschheit
Viele Neurowissenschaftler sind anderer Meinung als Kastrup. Der Computational Neuroscientist und Panpsychist Christof Koch sagt: “Wir kennen kein grundlegendes Gesetz oder Prinzip in diesem Universum, das die Existenz von subjektiven Gefühlen in Artefakten verbietet, die von Menschen entworfen oder entwickelt wurden.” Natürlich werde ich diese heikle Frage mit dem heutigen Essay nicht lösen. Mit der rasanten Entwicklung der künstlichen Intelligenz ist dies meiner Meinung nach jedoch zur entscheidenden Frage unserer Zeit geworden. Viele Denker und Tech-Unternehmer haben in den letzten Jahrzehnten Alarm geschlagen. Zum Beispiel Nick Bostrom in Superintelligenz (2014):
„Wenn wir eines Tages Maschinengehirne bauen, die menschliche Gehirne an allgemeiner Intelligenz übertreffen, dann könnte diese neue Superintelligenz sehr mächtig werden. Und so wie das Schicksal der Gorillas jetzt mehr von uns Menschen als von den Gorillas selbst abhängt, würde das Schicksal unserer Spezies von den Handlungen der maschinellen Superintelligenz abhängen… Im Prinzip könnten wir eine Art Superintelligenz bauen, die die menschlichen Werte schützen würde… In der Praxis sieht das Kontrollproblem – das Problem, wie wir kontrollieren können, was die Superintelligenz tun würde – ziemlich schwierig aus. Es sieht auch so aus, als bekämen wir nur eine Chance. Sobald eine unfreundliche Superintelligenz existiert, würde sie uns daran hindern, sie zu ersetzen oder ihre Präferenzen zu ändern. Unser Schicksal wäre besiegelt.“
Theoretisch könnte die KI superintelligent werden, ohne sich ihrer selbst bewusst zu werden – sie könnte uns auslöschen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. In Bezug auf die mögliche Explosion der Superintelligenz, so Bostrom, sind wir wie Kinder, die mit einer Bombe spielen.
Ist die KI der nächste Schritt der Evolution?
Das böse Problem ist, dass wir viele Kinder haben, “jedes mit Zugang zu einem unabhängigen Auslösemechanismus… Irgendein kleiner Idiot wird bestimmt den Zündknopf drücken, nur um zu sehen, was passiert.”
Wir befinden uns in einem archetypischen oder mythologischen Moment. Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, ihn in diesen Begriffen zu begreifen. Das wissenschaftlich-materialistische Paradigma, das der Gesellschaft von den Mainstream-Medien und der Akademie aufgezwungen wird, hat nach wie vor Vorrang. Ich neige dazu, unseren “Geist aus der Flasche” mit der KI aus der Perspektive der indigenen Kosmologie zu betrachten. Insbesondere aus Sicht des Schöpfungsmythos der klassischen Maya und durch die Brille von Rudolf Steiners okkulter Bewegung der Anthroposophie.
Ich war erleichtert, zeitgenössische Autoren aus der anthroposophischen Tradition zu finden, die sich direkt mit diesem Thema auseinandersetzen. Ein interessantes Werk ist Humanity’s Last Stand: The Challenge of Artificial Intelligence, A Spiritual-Scientific Response aus dem Jahr 2018. Darin schlägt der Autor Nicanor Perlas vor, dass wir mit der unmittelbaren Aussicht auf das Aussterben der Menschheit konfrontiert sind. Die potenziellen Fähigkeiten einer unkontrollierbaren künstlichen Superintelligenz (ASI), die rasch auf die allgemeine künstliche Intelligenz (AGI) folgen würde, werden nicht ausreichen. Er glaubt, dass diese Bedrohung innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahren eintreten wird.
Die Transformation des menschlichen Bewusstseins
Als Anthroposoph sieht Perlas dieses mögliche Aussterben im größeren Kontext der Evolution des menschlichen Bewusstseins und der Entwicklung der menschlichen Freiheit. Darunter auch unsere Freiheit, Utopien zu erschaffen und uns aber auch selbst zu vernichten. Nach Steiners Kosmologie haben sich evolutionäre Zyklen oft wiederholt oder rekapituliert – aber nicht mehr. Perlas schreibt dazu:
Diese Rekapitulation hat in unserer Zeit aufgehört – nichts wird jetzt wiederholt. Das liegt daran, dass wir den Punkt der “menschlichen Freiheit“ erreicht haben, und es ist unvorhersehbar, was die Menschen mit ihrer Freiheit tun werden… Die Menschheit befindet sich jetzt in einer Situation, die völlig ohne Vorgeschichte ist. Nachdem sie Milliarden von Jahren ein passives Produkt der kosmischen Evolution war, wird die menschliche Spezies nun zu einem mächtigen Agenten der Transformation in der evolutionären Phase… Der Zweck, dem wir dienen sollten, und der Zweck, der unserer eigenen göttlichen Natur, unserem höheren Selbst, wirklich angemessen ist, ist ein Zweck, der die tiefen Absichten, die in das gesamte Gewebe und die evolutionäre Stoßrichtung des Universums eingebettet sind, versteht, sich um sie kümmert und sie liebt.
Dies könnte die Bedeutung der langen Zählung des Maya-Kalenders sein, die am 21. Dezember 2012 endete. Hinter dieser Schwelle, so verstanden die indigenen Weisheitsbewahrer, würde die Menschheit als Ganzes ein völlig unbekanntes und ungewohntes Land betreten. Dies scheint in der Tat der Fall zu sein. Wir verstricken uns zunehmend in eine von Menschen geschaffene Realität, die von natürlichen Zyklen und Mustern abgekoppelt ist.
Steiner beschrieb ein bevorstehendes Ereignis in der Evolution der Menschheit, das er die “Inkarnation von Ahriman” nannte.
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