Den Bewohnern von einem Dutzend Dörfern in Kenia soll 10 bis 15 Jahre lang ein Grundeinkommen ausgezahlt werden. Das Projekt wird wissenschaftlich ausgewertet. Noch nie zuvor gab es ein BGE-Pilotprojekt von solchem Ausmaß. Wie werden sich die Empfänger verhalten? Wie wird sich das soziale Leben in den Dörfern ändern?
Das bedingungslose Grundeinkommen für jeden. Welche neuen Dimensionen ließen sich dadurch für eine Gesellschaft ableiten?
Was geschieht, wenn Menschen Geld bekommen – genug zum Leben, ohne Bedingung, jahrelang, einfach so? Werden sie faul oder erst richtig aktiv? Wenn jemand Geld bekommt, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen – hört er dann ganz auf zu arbeiten? Oder wird er vielmehr eine Tätigkeit aufnehmen, die er mag und die ihn erfüllt, aber vielleicht nicht gut genug bezahlt wird, um davon zu leben? Wird er möglicherweise sogar investieren und die Wirtschaft damit stärken?
Ein Feldversuch in Kenia.
Was überhaupt sind die Grundlagen bzw. Richtlinien eines ‘Bedingungslosen Grundeinkommen‘?:
- die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen,
- einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie
- ohne Bedürftigkeitsprüfung und
- ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden
Das Grundeinkommen stellt somit eine Form von Mindesteinkommenssicherung dar, die sich von den zur Zeit in fast allen Industrienationen existierenden Systemen der Grund- bzw. Mindestsicherung wesentlich unterscheidet. Das Grundeinkommen wird erstens an Individuen anstelle von Haushalten gezahlt, zweitens steht es jedem Individuum unabhängig von sonstigen Einkommen zu, und drittens wird es gezahlt, ohne dass eine Arbeitsleistung, Arbeitsbereitschaft oder eine Gegenleistung verlangt wird.
Das bedingungslose Grundeinkommen für jeden. Welche neuen Dimensionen ließen sich dadurch für eine Gesellschaft ableiten?
Wie schwierig es ist, das Grundeinkommen in praktische Politik umzusetzen, haben schon viele engagierte Vorkämpfer dieser Idee zu spüren bekommen.
Es ist kein unmittelbarer Trost für arme Menschen in Namibia, aber gleichzeitig eine Meldung, die Hoffnung macht: Die Nicht-Regierungsorganisation GiveDirectly aus den USA überrascht mit dem Plan, eine groß angelegte Pilotstudie zum Grundeinkommen in einem Dutzend kenianischer Dörfer zu organisieren. Spiegel-online gibt einen Überblick über das Projekt, die Zeit druckt einen Gastbeitrag der Organisatoren ab, in dem sie den Hintergrund und die praktische Arbeitsweise vorstellen.
Die Kernfrage bei Einführung des Grundeinkommen ist ja, ob die Menschen faul und bequem werden, wenn man ihnen dauerhaft ein Auskommen auf minimalem Niveau zusichert. Langfristig kann das Grundeinkommen nur finanziert werden, wenn ausreichend Erwerbsarbeit geleistet wird, wenn Bildungsanstrengungen nicht erlahmen und wenn sich die Menschen sozial und solidarisch verhalten. Während die Befürworter des Grundeinkommens von der Realisierbarkeit ihrer Idee überzeugt sind – auch weil sie den meisten ihrer Mitmenschen vertrauen – sind viele Kritiker skeptisch. Argumente für und gegen die Finanzierbarkeit des Grundeinkommens sind reichlich ausgetauscht worden, aber das Verhalten der Menschen kann letztlich niemand vorhersagen. Es bleibt nur das Ausprobieren.
Das bedingungslose Grundeinkommen für jeden. Welche neuen Dimensionen ließen sich dadurch für eine Gesellschaft ableiten?
Auszahlungen auf Mobilfunktelefone mit Unterstützung von Silicon Valley
Die vier Gründer von GiveDirectly kennen sich von den US-Universitäten Harvard und MIT, an denen sie wirtschaftliche Entwicklung studierten – und nach der effizientesten Möglichkeit suchten, Armut zu bekämpfen. Am meisten Erfolg schienen Direktzahlungen zu versprechen. Der wachsende Markt für Handy-Zahlsysteme, gerade in vielen Ländern Afrikas, erweiterte die Möglichkeiten.
Das Vorurteil, dass gerade die Ärmsten ausgezahltes Geld (im Unterschied zu Sachleistungen) vor allem in Alkohol oder Zigaretten investieren, ist neueren Studien zufolge nicht nur unbegründet , es ist auch kontraproduktiv.
Denn gerade die Ärmsten nutzen Geld offenbar viel besser , als es ihnen gemeinhin zugetraut wird. Spendenorganisationen weltweit gehen deshalb mehr und mehr dazu über, Bedürftigen Geld statt Sachleistungen zu geben. Selbst Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich jüngst für Direktzahlungen als Standardmethode ausgesprochen , um Menschen in Krisensituationen zu helfen.
2009 gründeten die Studenten GiveDirectly als eine Art privaten Spendenkreis, zwei Jahre später öffneten sie die Organisation. Schon im Dezember 2012 zahlten sie an erste zufällig ausgewählte Menschen in kenianischen Dörfern einen durchschnittlichen Jahreslohn – direkt auf deren mobile Konten, ohne Bedingung. Die Ergebnisse waren ermutigend.
Für Kenia sprechen auch bei dem neuen Vorhaben mehrere Gründe: Kenia hat ein gut funktionierendes System von Finanztransfers für Mobiltelefone. Mit M-Pesa können Handybesitzer über ein elektronisches Guthaben verfügen – ein Geldtransfer ist denkbar einfach.
Das Geld soll auch von privaten Spendern kommen.
“Wir werden die ersten zehn Millionen Dollar an Spenden um die gleiche Summe aufstocken”, verspricht Faye. “Wir hoffen, dass wir eine breite Koalition von Unterstützern zusammenbringen können – auch Unternehmen.”
Die Verbindungen in das Silicon Valley sind gut. Viele dort sind dem Grundeinkommen gegenüber aufgeschlossen. Im Vorstand der Organisation sitzt die Chefin von Googles karitativem Arm Google Giving, Jacquelline Fuller und eine Zeit lang auch Facebook-Mitgründer Chris Hughes.
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Pilotprojekt mit überschaubarem Finanzvolumen
GiveDirectly will nun ein Pilotprojekt mit einer ganzen Serie von Dörfern in Kenia starten. Da in Afrika die Lebenshaltungskosten für einen mittleren Haushalt gering sind, kann man mit überschaubarem Finanzvolumen ein Grundeinkommen an so viele Menschen auszahlen, wie für eine aussagekräftige Statistik nötig sind. Es wird ohne Gegenleistung und ohne Einmischung der Geber in die Entscheidung der Empfänger über die Verwendung des Geldes an alle Einwohner der ausgewählten Dörfer gezahlt. Mit 30 Millionen Dollar sollen 6000 Menschen ein Grundeinkommen erhalten. Dabei ist an eine Dauer von “mindestens 10 Jahren” gedacht. Das entspricht etwa 42 US-Dollar pro Kopf und Monat – immerhin mehr als viermal so viel wie in dem Namibia-Pilotprojekt.
Es handelt sich dabei wohl um mehr als nur ein “partielles Grundeinkommen”, das allein nicht ausreichen würde, um den Lebensunterhalt zu sichern. In Kenia betrug das jährliche Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt nach Schätzung der Weltbank 2014 rund 1360 US-Dollar, monatlich also gut 113 Dollar. Da die Empfänger des Grundeinkommens in besonders armen Dörfern wohnen, könnte die ausgezahlte Summe am Wohnort tatsächlich für die Deckung des Minimalbedarfs ausreichen, zumal der monetäre Armutsbegriff in ländlichen Gegenden mit Subsistenzwirtschaft problematisch ist. Somit würde dieser Betrag dem Zweck des Pilotprojekts genügen; die Verhaltensänderungen der Empfänger würden sich in einem realistischen Rahmen beobachten lassen. Für eine landesweite Einführung des Grundeinkommens müsste es jedoch höher angesetzt werden.
Wie es sich für eine ernst zu nehmende Studie gehört, wird das Programm wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Genannt wird Abhijit Banerjee, Wirtschaftsprofessor am Massachusetts Institute of Technology und weltweit renommierter Entwicklungsökonom. Gefragt ist eine unvoreingenommene und transparente Einschätzung der Auswirkungen des Grundeinkommens. Hierfür gibt es umfangreiche Erfahrungen. In der Praxis der Entwicklungshilfe ist gründliche Evaluierung gang und gäbe. Auch bei dem Namibia-Projekt war wissenschaftliche Begleitung gegeben, ebenso bei indischen Projekten zum Grundeinkommen.
Das bedingungslose Grundeinkommen für jeden. Welche neuen Dimensionen ließen sich dadurch für eine Gesellschaft ableiten?
Die Spendenbereitschaft – und damit die Reichweite dieses Vorhabens – hängt auch von dem Vertrauen der Öffentlichkeit in GiveDirectly ab. Die Organisation gibt klar Auskunft über ihre Geschäftstätigkeit. Sie stellt ähnliche Angaben bereit, wie sie auch für die Erteilung des deutschen Spendensiegels durch das DZI erhoben werden. So wird ein Verwaltungsaufwand von weniger als 10 Prozent angegeben. Die Geschäftstätigkeit wird – wegen der Steuerbefreiung – von den US-Finanzbehörden überwacht; die entsprechenden Angaben sind auf der GiveDirectly-Website öffentlich einsehbar. Die erfolgreiche Tätigkeit seit 2010 gibt Anlass zu der Erwartung, dass die Spenden wirksam und effizient verwendet und die Ziele der Organisation erreicht werden.
Das Pilotprojekt soll noch 2016 starten. Erste Ergebnisse sind bereits nach wenigen Jahren zu erwarten. Bei günstiger Entwicklung, d.h. bei einem Verhalten der Menschen, das den Erwartungen der Grundeinkommensbefürworter entspricht, könnte auch schon vor Ablauf der gesamten Projektphase die politische Arbeit für eine landesweite Ausdehnung der Grundeinkommenszahlungen einsetzen. Eine Entwicklung zu einem echten Grundeinkommen gemäß den vier oben genannten Kriterien ist dann eine Aufgabe, die mit langem Atem schrittweise angegangen werden muss.
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Quellen:
www.grundeinkommen.de/27/04/2016/kenia-groesstes-grundeinkommen-experiment-der-geschichte.html
http://www.spiegel.de/wirtschaft/grundeinkommen-in-kenia-experiment-ueber-zehn-jahre-ohne-bedingungen-a-1088085.html
http://www.businessinsider.de/in-kenia-sollen-zehntausende-bald-ein-bedingungsloses-grundeinkommen-erhalten-2017-2
https://deutsch.rt.com/afrika/46608-bedingungsloses-grundeinkommen-e-bay-kenia-afrika/