Der Engländer Ajahn Brahm (geb.1951) wurde mit 16 Jahren Buddhist. Nach dem Studium der Theoretischen Physik an der Universität Cambridge machte er 1973 eine Pilgerreise, zunächst nach Indien,… dann nach Thailand. Dort blieb er neun Jahre, als Mönch im Waldkloster des Ehrwürdigen Meisters Ajahn Chah. Heute ist er Abt des von ihm mitgegründeten Bodhinyana-Klosters in Perth, Westaustralien, dem ersten geweihten buddhistischen Kloster in der südlichen Hemisphäre und heute die größte buddhistische Gemeinde Australiens. Ajahn Brahm hat mehrere Bücher veröffentlicht, darunter ein sehr erfolgreiches mit „Weisheitsgeschichten“ (Die Kuh, die weinte), aber auch ein sehr umfangreiches und tiefgründiges Werk über Jhana, einem Kernstück fortgeschrittener Meditationspraxis (Im stillen Meer des Glücks). Das folgende Interview mit ihm führte sein deutscher Verleger.
Ajahn, die meisten Menschen stellen sich das Leben eines Mönchs vor als ein Dasein am Rande des Existenzminimums, in völliger Abgeschlossenheit vom Getriebe der Welt …
(Unterbricht amüsiert) … und mit viel Teetrinken und Abwarten, bis die Erleuchtung kommt! Mal im Ernst: Ich finde, dass es für mich eine der abwechslungsreichsten, kommunikativsten Lebensformen ist, die ich mir vorstellen kann. Von Weltferne keine Spur! Ich habe sogar das Gefühl, auf den Gang der Welt in gewissem Maße Einfluss nehmen zu können: Gelegentlich fragen einen sogar einflussreiche Leute um Rat – Unternehmer, Journalisten, Politiker. Vielleicht deshalb, weil man als Mönch selbst eben kein Interesse hat, weltliche Ziele zu verfolgen …
Wie bist du dazu denn gekommen, Mönch zu werden?
Ich bin als junger Mensch auf einer Pilgerreise nach Asien über Indien nach Thailand gekommen. In Bangkok habe ich buddhistische Mönche aus dem Landesinnern kennen gelernt. Unter allen spirituellen Lehrern und Suchern, die ich bis dahin getroffen hatte, waren dies die freundlichsten und friedvollsten Menschen, wie mir schien. Sie luden mich in ihr Kloster ein, und ich ging mit. Ich fand es spannend, dass man dort Mönch auf Zeit werden konnte. Ich wusste damals gar nicht, dass es das Waldkloster eines berühmten buddhistischen Meisters war. Aber ich habe diese Entscheidung nie bereut! Erst wollte ich ein paar Wochen bleiben, daraus wurden Monate, dann Jahre … Irgendwann war ich selber Mönch geworden.
Du selbst hast dich damit in aller Konsequenz für ein Leben auf der Suche nach Erleuchtung entschieden. Wie stehst du dazu, dass der Buddhismus im Westen zunehmend als Rezeptbuch der Entspannungstechniken für gestresste Wohlstandsbürger herhalten muss?
(Lacht) Ich habe wirklich kein Problem damit, wenn die Leute sich dabei tatsächlich ein bisschen entspannen. Wer sich heute als Fulltime-Buddhist sieht, sollte doch nicht glauben, dass das so ganz neu ist. Seit der Buddha vor 2.500 Jahren begann, den Dhamma zu lehren, haben auf diesem Wege auch immer wieder Menschen zu echter spiritueller Erfahrung gefunden. Nicht wo du einsteigst ist wichtig, sondern wohin dich das führt, letztlich.
Wo liegt der Knackpunkt dabei – ab wann wird Herumexperimentieren zu echter spiritueller Suche?
Wer will diesen Punkt genau bestimmen? Auf dem Grunde jedes menschlichen Herzens lebt die Sehnsucht nach Verstehen. Wenn daraus ein unwiderstehlicher Wunsch wird, dem du einfach folgen musst, finden dich die entsprechenden Erfahrungen früher oder später von selbst. Das ist das Wichtige: selbst Erfahrungen machen! Anderen immer nur zuhören, das reicht nicht. Immer nur zu glauben, hilft auch nur begrenzt weiter. Alle Erleuchteten haben es in sich selbst gefunden, worum es eigentlich geht.
In der Meditation?
In der Meditation, natürlich. Du erlebst es, wenn du in der Meditation die Jhanas erlebst. Das ist eine unglaublich kraftvolle Erfahrung. Es haut dich buchstäblich um – du bist nicht mehr da! Nur noch Bewusstsein, Ekstase – was rede ich …
In deinem zweiten Buch beschreibst du die Jhanas auf klassische Weise: als Stufen der Meditation, die schrittweise erklommen werden. Das klingt alles folgerichtig und durchaus nachvollziehbar, auch weil du dich auf Vergleiche stützt, die man verstehen kann. Aber letztlich bleibt es doch ein Geheimnis, das man selbst enthüllen muss …
Es ist immer dasselbe: Wir können nur das wirklich verstehen, was wir auch wirklich selbst erfahren. „Jhana“ bleibt sonst ein Konstrukt des Verstandes. Wenn du aber in der Meditation erlebst, dass die Tätigkeit der äußeren Sinnesorgane aufhören kann, ohne dass du einschläfst, sondern dass du dabei vielmehr bei vollem Bewusstsein bleibst, betrittst du eine ganz neue Welt. Dann verstehst du, dass deine äußeren Sinne dich dein ganzes bisheriges Leben in einer Welt der Täuschung gefangen gehalten haben.
Gibt es auch hierfür einen Vergleich, den man verstehen kann?
(Grinst verschmitzt) Wenn du’s nicht persönlich nimmst …
Na, wo denkst du hin …?!
Sagen wir also, es geht dir wie einer Kaulquappe, die zum Frosch wird: Da hast bisher dein Leben lang im Wasser gelebt, und weil du nichts anderes kanntest, wusstest du im Grunde gar nicht, was Wasser eigentlich wirklich ist. Voll und ganz zu verstehen, was Wasser ist, gelingt dir erst, wenn du als Frosch erstmals aus dem Wasser hüpfst und es hinter dir gelassen hast.
Schönes Bild, aber was hat das mit Meditation und der Erfahrung der Jhanas zu tun?
Sehr viel, jedenfalls im übertragenen Sinne. Wenn du das erste Jhana erfährst, geschieht etwas sehr Bedeutsames mit Deiner Wahrnehmung: Während du alles in Dir und um Dich herum bisher stets mit deinen fünf Körpersinnen wahrgenommen hast, verschwindet diese Art der Wahrnehmung jetzt einfach. Du lässt sie hinter dir wie der Frosch das Wasser. Du gewahrst aber dennoch weiter, mit einer rein inneren Wahrnehmung, betrittst eine ganz neue, innere Welt. Und durch dieses rein innerliche Gewahrsein verstehst du glasklar, was deine äußeren Sinne bisher mit dir machten: Sie setzten dich fest in einer Welt beschränkter Wahrnehmung.
… und das ist erst der Anfang der Jhana-Erfahrung.
Es gibt vier Jhanas, und sie bauen aufeinander auf. Jedes bringt für den Meditierenden eine vertiefte und verfeinerte Wahrnehmung und noch intensiveres Glücksempfinden mit sich.
Was naturgemäß bedeutet, dass sie sich einer Beschreibung umso mehr entziehen, je weiter der meditierende Geist diese Erfahrung macht?
Natürlich, schon, man kann aber dennoch versuchen, es in Worte zu fassen. Wobei man sich sehr klar darüber bleiben muss, dass dies nur in eingeschränktem Maße möglich ist. Jedes Jhana hat gleichsam seinen eigenen, unverwechselbaren Geschmack, der erlebt werden muss und niemals eins-zu-eins beschrieben werden kann. Eine Hilfsbrücke, über die sprachliche Beschreibung gehen kann, ist die Bezugnahme auf unterschiedliche Funktionen des psychischen Apparats. Man kann zum Beispiel sagen, jedes Jhana entspricht einer weiteren Stufe in der fortschreitenden Stilllegung des gesamten psychischen Apparats, angefangen bei den äußeren Sinnesorganen, über die Denkfunktion, bis nur mehr reines Gewahrsein vorhanden ist, ohne Beobachter und ohne etwas, das beobachtet wird.
Das klingt schon etwas paradox …
… ist es auch, jedenfalls von der Stufe des gewöhnlichen Bewusstseins aus betrachtet, auf der wir beide uns hier und jetzt befinden. Da muss es als nachgerade absurd erscheinen, wenn man sagt: Es gibt vollkommenes Gewahrsein, ohne betrachtendes Subjekt und ohne betrachtetes Objekt.
Ajahn, wie wär’s mit einem weiteren deiner unnachahmlichen Vergleiche?
Hmm … Nehmen wir noch mal an, du lebst jetzt als Frosch, der das Kaulquappen-Dasein gerade hinter sich gelassen hat. Du freust dir ein Loch in den Bauch, dass du endlich weißt, was Wasser wirklich ist: etwas, in dem du leben kannst, aber eben nicht alles, was du zum Leben, wie du es dir eigentlich wünschst, brauchst, oder? Und du freust dich, dass du das Wasser jetzt putzmunter und nach Belieben verlassen kannst, um ein Plätzchen am Ufer gefunden hast, wo es so richtig gemütlich ist … Doch nach einer gewissen Zeit dämmert dir: Da muss es doch noch mehr geben! Und so ist es auch. Da gibt es nämlich noch einen anderen Teich und ein anderes Ufer, mit noch fetteren Fliegen und allem, wonach dir dein Froschherz steht. Das Problem ist nur: Du weißt nicht, wie du jetzt dort hinkommst. Für den Frosch endet die Reise hier. Nicht aber für dich! Denn du bist ein Mensch, du hast mehr Möglichkeiten. Doch wie so oft im Menschenleben, wird es wieder paradox: Du schaffst es zum anderen Teich, ins zweite Jhana, nur, wenn du das Anhaften an dem Wunsch, es zu erreichen, komplett loslässt.
Es ist ein Geschenk, eine Gnade?
Diese Interpretation überlasse ich dir: ob Gnade oder Verdienst. Interpretationen sind völlig belanglos. Wichtig hierbei ist einzig und allein, dass dein Wollen vollständig versiegt. Denn nur dann ist in deinem Innern Platz bereitet für die noch subtilere Erfahrung des zweiten Jhanas. Um bei unserem Vergleich zu bleiben: Du wirst aus dem Teich des Willens durch eine Kraft, die größer ist als dein eigener Wille, in einen anderen Teich getragen, wo es nur mehr eine unendliche Kraft gibt, aber keinen persönlichen Willen mehr.