Was gibt unserem Dasein einen tieferen Sinn? Wer sind wir wirklich? Was ist der Tod? Hier ein Interview mit Willigis Jäger, der eine konfessionsunabhängige zeitgenössische Spiritualität verkörpert, die den spirituell Suchenden des 21. Jahrhunderts Antworten auf ihre drängenden Fragen gibt.
Was ist das Wichtige an der Mystik für uns heute?
Wir stellen fest, dass diese paar Jahrzehnte unseres Lebens in diesem zeitlosen Universum keinen Sinn machen. Milliarden von Galaxien, jede Galaxie Milliarden von Sternen, Lichtjahre voneinander entfernt, es gibt womöglich viele parallele Universen…dann stehen wir da mit unseren paar Jahrzehnten. Was sollen wir damit in diesem unendlichen Universum? Das ist die eigentliche Frage, die wir zu stellen haben.
Die Mystik gibt uns eine Antwort. Die Rationalität, die Personalität, selbst die Religion haben uns bisher keine endgültige Antwort gegeben.
Alle Religionen haben drei Ebenen. Sie haben eine institutionelle Ebene – Kirchen, Gemeinschaften, Glaubensgebäude. Sie haben eine intellektuelle Ebene – Theologie, Theodizee, Metaphysik, Philosophie. Und alle Religionen haben eine mystische Ebene: Im Buddhismus zum Beispiel das Zazen, Vipassana oder Dogzen, im Hinduismus die Yogasutren des Pitanjali, Raja- und Kriya-Yoga, im Islam gibt es den Weg der Sufis, im Christentum den der christlichen Mystik. Alle Religionen haben diese dritte Ebene, die aber meist weder erkannt noch gelebt wird. Ja, man hat in der christlichen Religion sogar Angst davor, weil es immer ein Übersteigen des Konfessionellen bedeutet und damit einen Machtverlust über die Menschen.
Und wer ist unser Vorbild? Gibt es so etwas überhaupt?
Es gab christliche Mystiker – wie Meister Eckehart, Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila – es gab immer wieder Menschen, die das rein Konfessionelle überstiegen haben. Oder das Buch „Die Wolke des Nichts“ aus dem 15. Jahrhundert von einem unbekannten englischen Mystiker. Sagt das Gleiche wie Zen.
Siehst du dich selbst auch als Mystiker – in unserer Zeit?
Das sollen andere Leute beurteilen.
Was ist das Geheimnis hinter allen spirituellen Wegen?
Eigentlich geht es um das, was ich gerade gesagt habe. Die spirituellen Wege führen uns aus unserer Personalität und unserer engen rationalen Sicht heraus. Unser Leben macht, wenn wir es normal rational verstehen, eigentlich keinen Sinn. Warum sollen diese paar Jahrzehnte einen Sinn haben? Haben wir mehr als der Hase dort draußen, oder der Esel oder das Pferd, das dort steht? Im Zen heißt es: Jedes Haar ist Ausdruck des Urgrunds. Es gibt nichts, das nicht Welle dieses Ozeans wäre, den wir Gottheit, Leerheit oder Prana nennen. Wir sind eine einzigartige, unverwechselbare Welle in diesem Ozean, den wir Gott nennen. Die Welle kehrt zurück, das Personale verschwindet. Das Leben danach, ob sich da eine neue Struktur bildet, das können wir nicht sagen. Ob das Zurückfallen der Welle in den Ozean Energie freisetzt für eine neue Struktur, wissen wir nicht.
Und der Mystiker ist auch nicht wirklich interessiert daran?
Nein. Das Leben geht weiter, nicht die personale Struktur. Wir werden nicht auf einer Wolke dort oben sitzen und Halleluja singen. Es gibt keine Verewigung des Personalen, auch wenn die christlichen Kirchen das immer noch verkünden. Die Leute, die zu uns herkommen, sind zu 80 Prozent aus der Kirche ausgetreten. Sie finden keine Deutung ihres Lebens mehr in dem, was der Pfarrer ihnen von der Kanzel herab sagt. Daher versuchen wir ihnen eine Deutung zu geben, wie sie in der christlichen Mystik oder auch im Zen gegeben wird.
Würde man denn Jesus als einen Mystiker sehen können?
Jesus ist für mich ein Mystiker, einer der erfahren hat, der 40 Tage und wahrscheinlich viel länger in der Wüste war, mit tiefen mystischen Erfahrungen, der wie alle Mystiker Versuchungen widerstand wie „Ich nehme Dich mit auf die Zinne des Tempels, spring runter, und die Leute werden Dir folgen!“. Er ist dann aufgetreten und hat versucht, das Reich Gottes zu verkünden. Das Reich Gottes ist nicht irgendein Reich, das kommt, sondern diese andere Bewusstseinsebene, die Jesus zum Beispiel dem Nikodemus aufzeigen möchte, wenn er sagt: Du musst wiedergeboren werden, das heißt in eine andere Ebene der Erfahrung hineinkommen, wenn du begreifen willst, wer und was du bist. Der Kosmische Christus ist eine Bewusstseinsebene, die uns mehr deutet von unserem Leben als es die rationale Ebene, die Gebote und Verbote und die Glaubensbekenntnisse tun.
Was ist der Sinn unseres Lebens in diesem zeitlosen Universum mit seinen Milliarden und Milliarden Galaxien? Wer sind wir, woher kommen wir, wohin gehen wir? Das sind die essentiellen Fragen.
Willigis Jäger, geboren am 7. März 1925 in Hösbach, vertritt eine moderne und transkonfessionelle Spiritualität, die den spirituell Suchenden des 21. Jahrhunderts Antwort auf ihre drängenden Fragen gibt. Seine Vision einer integralen Spiritualität vereint den großen Erfahrungsschatz der östlichen und westlichen Weisheit in sich und bezieht zugleich neueste Erkenntnisse der Wissenschaften mit ein. Er ist Gründer des Benediktushofes in Holzkirchen, einem Zentrum für spirituelle Wege, wo er lebt und arbeitet, und Mitbegründer des Meditationshauses Sonnenhof im Schwarzwald.
Er ist Stifter der „West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung“, die den Menschen, die sich durch seine Vision angesprochen fühlen, eine international tätige Plattform bietet.
www.west-oestliche-weisheit.de
Das Interview führte Christian Salvesen