Das Hobby zum Beruf machen, seine eigenen Leidenschaften leben und den öden oder super stressigen Job für immer an den Nagel hängen: Dad wünschen sicher viele in der heutigen Zeit! Die Zahl der Burn-out Fälle nehmen immer mehr zu, Yoga und Meditation gewinnt enorm an Zuwachs. Die stressgeplagten Menschen suchen nach Sinnerfüllung – und sie finden diese immer weniger im Beruf. Resepkt also vor jemand, der es trotzdem wagt und seine Liebe zur Natur Wanderfreudigen weitergibt:
Oliver Mirkes ist ein „Stadtkind und ein Naturbursche“. Er fühlt sich seiner Heimatstadt Stuttgart sehr verbunden und ist gleichermaßen in der Bergwelt der Alpen zu Hause.
Es ist die Begeisterung und Leidenschaft, die ihn sogar so weit gebracht haben, seinen alten und wohl dotierten Job an den Nagel zu hängen und die Lieblingsfreizeitaktivitäten zum Broterwerb zu machen. Davon träumen viele – in der heutigen Zeit immer mehr – und nur wenige haben den Mut, konsequent diesen Schritt zu wagen.
Doch die eigene Reflexion über Zustände, die einfach so für ihn nicht mehr tragbar waren, führte ihn zum Ausstieg. Während andere weiter Karriere machen (oder zumindest bemüht sind), wählte er für sich einen anderen Weg des Aufstiegs.
Heute ist er ausgebildeter Tiroler Bergwanderführer, Wanderführer im Deutschen Wanderverband als auch Zertifizierter Natur- und Landschaftsführer. Doch noch eine andere „Spezialität“ zeichnen Oliver Mirkes aus: er liebt die Stuttgarter „Stäffele“ (für Nicht-Schwaben: ein „Stäffele“ ist eine Treppe) und kennt jede höchstpersönlich! Würde man alle Stäffele rund um Stuttgart im Kreis herum bewältigen (also ein Mal hoch und wieder runter, hoch und wieder runter…), über 2000 hm erklommen. Und das ist nur ein Teil der insgesamt rund 400 Staffeln und 20 km Treppenwege in Stuttgart.
Einen Teil davon kann man bei seinen Stäffelestouren erleben – inklusive die Historie von Gebäuden, die Stadtentwicklung und auch lebendig werdende Anekdoten. Bei seinen Stadtwanderführungen kommen so auch manchmal die Teilnehmer selbst zu Wort, wenn sie auf Erinnerungsspuren wandeln. Eine Geschichte hat mich selbst auch sehr berührt, als er mir von einer „Stäffelesteilnehmerin“ erzählte, die beim Erklimmen des Birkenkopfes, der nach dem 2. Weltkrieg zum Schuttberg wurde, sich an ihre Kindheit entsann und wie sie selbst die vom Krieg zerstörte Schuttsteine dorthin karrte. So ist jede Tour durch Stuttgart einzigartig und lebt von den Menschen und dem Bewusstsein, dass manche Dinge ihre eigene Entwicklung haben und immer im Kontext mit der Zeit betrachtet werden müssen. Dazu hat Oliver Mirkes viel Literatur zur Stadtgeschichte gewälzt – und bildet sich immer noch weiter, weil es noch so viel zu entdecken gibt.
Die Natur und die Landschaften sind reich an Erlebnissen und Eindrücken – und dieses versucht er mit seinem Angebot zu vermitteln: bei Neu- oder Vollmondwanderungen auf der Schwäbischen Alb, auf Touren in der alpinen Bergwelt oder bei 24- Stunden-Wanderungen. Zwischen Himmel und Erde und in Anbetracht der hohen Berge fühlt man sich vielleicht als Wanderer ganz klein, aber trotzdem mit allem tief verbunden. Die Sterne am Himmel erzählen ihre Geschichte und jede Pflanze auf dem Weg hat ihre Daseinsberechtigung. Ich bin mir sicher, dass Oliver Mirkes mit dieser Kraft aus der Natur den Sprung in ein neues Leben geschafft hat und heute die Menschen mit dieser Begeisterung inspiriert.
Foto: (c) www.wanatu.de
Die Natur versteht keinen Spaß, sie ist immer wahr, immer ernst, immer strenge, sie hat immer recht, und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.
(J.W. von Goethe)
Das obige Zitat von Goethe faszinierte mich schon immer. Denn in der Natur steckt so viel Weisheit und Kraft – und der Mensch kann sie eben doch nicht beherrschen. Wie ist das, wenn man in freier Natur in den Bergen ist und kommt in eine gefährliche Situation. Erlebt man die Natur dann “streng” oder lernt man wie ein “Schüler”, damit umzugehen und eventuelle Fehler zu reflektieren? Lernt man mehr Respekt?
Respekt ist das wichtigste Stichwort! Man sollte nie den Respekt vor etwas verlieren, weder vor der Natur noch vor seinen Mitmenschen. Ich selbst reflektiere und gestehe mir Fehler ein, nur so kann ich für weitere Aufgaben und Touren dazu lernen.
Streng, nun für mich nicht das passende Wort. Die Natur ist wie sie ist und wir Menschen haben uns danach zu richten. Streng oder gütig sind nur die Worte der Menschen.
Wanderführer und “Stäffelesführer” – ein ungewöhnlicher Beruf für einen Menschen in der Stadt. Wie kam es zur Entscheidung, diesen Schritt zu wagen? Gab es dabei ein besonderes Erlebnis? Einen Moment, an dem sich alles änderte? In wieweit hat die (sicher tiefe) Verbindung zur Natur und zum Bergsteigen von Kindesbeinen an für diese Entscheidung eine Rolle gespielt?
Ich hatte im sportlichen und privaten Bereich immer wieder verschiedene Dinge ausprobiert. Im Beruflichen war mein Weg dagegen eher vorgegeben. Durch die intensiven Tage in der Natur und den Bergen denkt man schon öfters mal daran, wie man die weniger erbaulichen Bürotage verringern kann.
2009 bei einem Ranger-Lehrgang im Nationalpark Hohe Tauern dachte ich dann erstmals ernsthaft daran, mir einen Beruf in der Natur zu suchen. Ranger als Beruf kam allerdings nicht in Frage, man musste ortsansässig sein. So kam die Überlegung, mein Hobby – das Wandern und Bergsteigen – zum Beruf zu machen. Nach der Ausbildung zum Bergwanderführer dauerte es noch bis Mitte 2012, bis ich meinen Technikerjob an den Nagel hing.
Somit war es eine längere Entwicklung zur Entscheidung, welche jedoch durch den massiven Druck bei der Arbeit und dem rauen Ton in der Automobilindustrie unterstützt wurde.
Solch ein hoher Berg oder eine lange Tageswanderung kann schnell zu einer grenzwertigen Herausforderung werden. Im “normalen” Job ist das ja durchaus auch so: Ein Kräftemessen mit dem sprichwörtlichen “Berg” (mit dem Chef, den Kollegen, den Anforderungen, dem Stress, der Verantwortung). Was ist aus deiner Erfahrung und Vita heraus anstrengender?
Eindeutig das Kräftemessen und Kräftelassen im “normalen” Job. Nach einer Bergtour und zurück auf der Hütte oder im Tal sind die körperlichen Anstrengungen schnell vergessen und der Kopf füllt sich mit tiefer Zufriedenheit. Im Büro wird der Druck hingegen stetig größer und bei vielen Menschen stellt sich gar keine Entspannung und Zufriedenheit mit Ihrem Leben mehr ein.
Lernt man in den Bergen, mutig(er) zu werden? Vielleicht schneller, einfacher, leichter, besser als hier in unserem Alltag, in der Stadt?
Welche Spielregeln hat die Natur Ihrer Meinung nach? Oder gibt es gar keine?
Nein, nicht mutiger, denn in der Stadt kann es durchaus gefährlicher sein wie in den Bergen. Stichwort Verkehr, Umweltbelastung, Kriminalität.
Wie Anfangs bereits erwähnt, Respekt! Respekt vor der Natur und den Menschen, mehr Regeln braucht es dann nicht.
Erlebst du die Menschen, die sich mit dir auf den Berg wagen, heute als gestresster, ungeduldiger oder nervöser? Sind sie bestrebt, so schnell wie möglich voranzukommen oder können Sie einfach mal in der Natur “sein” – mit allen Sinnen? Verändert sich da etwas oder verändert es sich (erst) nach einem solchen Erlebnis-Wandertag?
Generell ja! Aber es kommt auf die Länge der Wanderung an. Bei Tagestouren sind und bleiben die Menschen so gestresst wie sie ankommen und es zulassen. Bei mehreren Tagen merkt man dass die Leute deutlich ruhiger werden. Die Kunst ist es für mich bereits von Anfang an zu entschleunigen.
Das gelingt natürlich nicht immer 😉
Wie kam es zur Idee zu den “Stäffelestouren”? Und zur Idee, 24 Stunden am Stück oder bei Neu- oder Vollmond zu wandern? Gibt es da eine Art “spirituelle” Erfahrung zu erleben?
Als gebürtiger Stuttgarter wurde mir der Ortsneckname “Stäffelesrutscher” praktisch in die Wiege gelegt. Nach einer Marathon Stäffelestour mit meinem besten Freund und Seilpartner kam seiner Freundin die Idee die Touren in Stuttgart an zu bieten. Klar, dass die Stäffelestouren bei mir keine “normale” Stadtführung sind. Strecke und Höhe sowie Wege zur Natur sollen schon mit dabei sein. Bis jetzt gelingt das ganz gut 🙂
Bei der 24 Stunden Wanderung ist es häufig so dass in den frühen Morgenstunden, auf breiten Wegen der Schwäbischen Alb, durchaus meditative Situationen entstehen können. Doch bei Nachtwanderungen beschränke ich mich mehr mit den naturwissenschaftlichen Aspekten von Naturraum und Astronomie.
Was lernen die Wanderer über Astronomie?
Es geht weniger ums Lernen als um das Erleben. Einfache Zusammenhänge zwischen der Erd- und Mondgeschichte sowie einige Sternbilder und Planeten. Also mehr Geschichten als zu naturwissenschaftlich.
Würdest du wieder in den alten Beruf zurückkehren wollen – aber mit einer anderen Einstellung, mit vielleicht mehr Gelassenheit und Ruhe und mit der Erfahrungswelt der Bergwanderungen?
Ich hatte zu keiner Zeit “niemals wieder” gesagt, und so ist das noch heute. Jedoch in Vollzeit möchte ich das nicht mehr machen. Als ein Standbein, z.B. über den Winter wäre es jedoch nicht ausgeschlossen.
Könntest du dir vorstellen, in Betriebe zu gehen und dort eine Art Coaching anzubieten, die die Naturerfahrung in die betrieblichen Abläufe integriert?
Darüber hatte ich noch nicht nachgedacht. Wenn, dann sollte solch ein Coaching jedoch außerhalb der gewohnten Betriebsatmosphäre stattfinden. Sonst sind die Leute nie ganz weg von der Arbeit und der Erfolg wäre gering. Ein Wochenende in der Natur… warum nicht.
Zum Abschluss: Was bedeutet für dich “Glück” und was sind deine Visionen für die Zukunft?
Glück habe ich schon früh mit dem Begriff der Zeit verbunden. Zeit haben für sich, Familie und Freunde!
Zukunft muss gestaltet werden, da bin ich gerade dabei. Wenn ich es schaffe als selbstständiger Unternehmer im Wander- und Naturbereich leben zu können, dann ist das Glück ganz nahe 🙂
Vielen Dank für deine Zeit!
Sehr gerne und vielen Dank für das nette Gespräch!
Das Interview führte Birgit Matz
Mehr über Oliver Mirkes und seine Firma WANATU erfahren Sie hier:
www.wanatu.de und www.stuttgarter-stäffelestour.de
Buchtipp der Redaktion:
Über die Berge zu mir selbst
ISBN 9783778792087
Wötzel, Rudolf
Verlag Integral