Welches Thema könnte für den Wonnemonat des Jahres, den wunderglaublich feinen Mai, besser passen – als die Liebe? „Alles neu – macht der Mai“ – so sagt es der weise Volksmund. Zudem sind die Monate ohne einem „R“ im Namen die Sonnenmonate in unseren Breiten.
Der Mai feiert sich ein mit Beltane, auch Walpurgisnacht genannt. Unsere Ahnen zelebrierten archaische Rituale in dieser Nacht. ‚Bel‘ bedeutet ‚strahlend, glänzend, leuchtend‘ und ‚tane‘ oder ‚tene‘ kann mit ‚Feuer‘ in unser heutiges Sprachverständnis übertragen werden. In dieser Nacht, so die Legende, findet die ‚Heilige Hochzeit‘ statt; ‚Hieros gamos‘ genannt. Es ist die Hochzeit von Himmel und Erde; himmelerdig und kraftbeseelt.
Der Mai ist der Monat der erotischen Freuden und damals wie heute werden im Mai die meisten Hochzeiten gefeiert.
Der Name Mai – auf den Spuren des Ursprungs
Auch das ist spannend. Setzen wir die etymologische Brille auf, so finden wir Worte wie ‚wunni‘ oder ‚winni‘ und auch den ‚wunninmanod‘ – den wir heute als ‚Weidemonat‘ verstehen. Denn heute wie auch damals in den Kulturräumen mit keltischen Wurzeln wurden und werden die Tiere oftmals auf die Weiden oder auf die Almen gebracht, um den Sommer im Freien zu verbringen.
Uns ‚modernen‘ – zumeist ganz und gar digital orientierten Menschen – sind diese natürlichen Rhythmen weitgehend abhandengekommen. Das ist ein tieferer Einschnitt als auf den ersten Blick ersichtlich. Entspricht doch die Natur da draußen auch unserer eigenen. Es liegt an uns, diesen Keil der Trennung zu überwinden und in einem vorwärts gerichteten Verständnis neu zu integrieren.

„Sprich uns von der Liebe“
Wer kennt nicht die Frage Almitras an den Propheten Almustafa? – unsterblich formuliert von Khalil Gibran in seinem Meisterwerk „Der Prophet“. Wir alle sind tief berührt von seinen wunderbaren Antworten von unvergleichlicher Schönheit. Und wie der Same warten muss auf die richtige Jahreszeit, den Frühling, so braucht es auch in uns die Reife, uns befreit fallen zu lassen in das Mysterium der Liebe.
Lauschen wir einen Moment in den Original-Text, den ich stark gekürzt habe, um dem Format einer Kolumne Genüge zu tun.
„Da sagte Almitra: Sprich uns von der Liebe.
Und er hob den Kopf und sah auf die Menschen, und es kam eine Stille über sie. Und mit lauter Stimme sagte er:
Wenn die Liebe Dir winkt, folge ihr.
Gib Dich ihr hin, wenn ihre Flügel Dich umhüllen,
Wenn sie zu Dir spricht, glaube an sie.
Wie Korngarben sammelt sie Dich um sich. Sie drischt Dich, um Dich nackt zu machen, siebt sich, um Dich von Deiner Spreu zu befreien. Auch mahlt sie Dich, bis Du weiß bist. Sie knetet Dich, bis Du geschmeidig bist. Und dann weiht sie Dich in ihrem heiligen Feuer, damit Du heiliges Brot wirst für Gottes heiliges Mahl.“
Und weiter spricht Almustafa:
„All dies wird die Liebe mit Dir machen, damit Du die Geheimnisse Deines Herzens kennenlernst und in diesem Wissen ein Teil vom Herzen des Lebens wirst.“
Lass mich mit einem Gedanken schließen, der in den Mai, der in diese wunderfüllige Frühlingszeit passt: Ich spüre, dass Du einer jener Menschen bist, die Liebe – und ich spreche von dieser kosmischen, göttlichen Liebe – also, die Liebe als ihre innere Flamme erkannt haben. Denn was uns tatsächlich am Leben erhält, ist?
Es ist die Liebe.