15 Minuten still dasitzen, seinen Gedanken schweifen zu lassen, einfach einmal nichts tun. Was für den einen verlockend klingen mag, empfinden viele Menschen als belastend und unangenehm. So unangenehm, dass Probanden einer Studie des Psychologen Timothy Wilson von der University oft Virginia sogar Elektroschocks dem Nichtstun vorzogen.
Nichtstun – schwierig und unangenehm
Timothy Wilson und sein Team baten ihre Studienteilnehmer sechs bis 15 Minuten lang alleine und tatenlos nur mit ihren eigenen Gedanken zu beschäftigen. Die ersten Versuche wurden in einem Labor durchgeführt. Die Teilnehmer der Studie saßen in einem nüchternen Raum und sollten sich nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigen. Im Anschluss wurden sie über ihre Empfindungen bei dieser Erfahrung befragt. Das Ergebnis: Die meisten Teilnehmer empfanden die Aufgabe als schwierig und unangenehm.
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Um auszuschließen, dass dieses Empfinden an der nüchternen und fremden Umgebung liegt, wurde das Experiment im häuslichen Umfeld wiederholt. Im vertrauten Umfeld sollten sich die Probanden still mit ihren Gedanken beschäftigen. Der Wechsel der Umgebung führte jedoch zu keinem nennenswerten Unterschied. Viele fanden diesen „Zeitvertreib“ daheim eher noch unangenehmer als im tristen Labor. „Ein Drittel der Studienteilnehmer gab sogar zu, geschummelt zu haben. Sie hörten Musik, benutzten ihr Handy oder verließen ihren Stuhl“, erzählt Timothy Wilson.
Es schien so, als wenn die meisten Menschen lieber irgendetwas tun, als nur zu denken oder nicht zu tun. Um dieses Phänomen genauer zu untersuchen entwickelten das Psychologenteam eine neue Versuchsvariante: Kann es sein, dass die Probanden sogar bereits sind sich Schmerz zufügen, um dem Nichtstun zu entkommen?
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Absurde Entscheidung: Elektroschocks statt Nachdenken
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Wie in den Versuchsreihen zuvor wurden die Studienteilnehmer gebeten, sich nur mit ihren Gedanken zu beschäftigen – doch dieses Mal wurde ihnen eine Beschäftigungsmöglichkeit angeboten: Per Knopfdruck konnten sich die Probanden einen leichten, doch unangenehmen Elektroschock verpassen. Bei der Kostprobe des Elektroschocks im Vorfeld, hatten alle Studienteilnehmer mitgeteilt, dass es nicht in Frage käme, sich auf diese Art und Weise traktieren zu lassen. Doch 15 Minuten können unendlich erscheinen. Die Minuten vergingen so zäh, dass der auslösende Knopfdruck des Elektroschocks als Erlösung betrachtet wurde. Lieber Schmerz, als gar keine Ablenkung. Ein Proband drückte sogar 190 Mal auf den Elektroschock-Knopf.
Entgegen den Erwartungen wurde dieses Phänomen nicht nur bei jungen Menschen beobachtet. Die Versuche wurden mit Menschen im Alter zwischen 18 und 77 Jahren durchgeführt. Unterm Strich führten diese zu den gleichen Ergebnissen: „Es war überraschend, dass auch viele ältere Leute es nicht mögen, nur auf Nachdenken reduziert zu sein”, sagt Timothy Wilson.
“Der dafür untrainierte Geist beschäftigt sich nicht gerne mit sich selbst”, schließen die Forscher ihre elf Versuchsreihen.
Martyrium ohne Impuls?
Wieso fällte es so schwer, einfach dazusitzen, sich Tagträumen hinzugeben, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen? Unsere schnelllebige, hektische und von Informationen überflutende Zeit als Erklärung herzunehmen wäre zu einfach. Werfen wir unseren Blick zurück in die Geschichte stellten sich dieser Herausforderung buddhistische Mönche bereits vor über 1000 Jahren und tun es heute noch. Wer sich in Meditation versucht hat, kann ein Lied davon singen, wie schwer es fällt, sich einfach hin zu setzen und seine Gedanken loszulassen. Es sind wohl die wenigsten Menschen, die diese hohe Kunst des Nichtstuns beherrschen.
Allein da zu sitzen, nur mit uns und unseren Gedanken. Irgendwie die Zeit „tot schlagend“, das ist für viele Menschen ein beängstigendes Szenario. Die Vorstellung, sich mit sich selbst zu beschäftigen schreckt viele Menschen ab. Was hat der Mensch nicht alles erfunden, um dem zu entgehen?! Herrliche Gärten, Museen, Fernseher, Abenteuerreisen, Computerspiele, Vergnügungsparks, Meetings, Smartphones… Die Bedrohung des Nichtstuns wird mit heftiger Ablenkung bekämpft: Fernsehen, joggen oder shoppen gehen, Hanteln stemmen, saufen, telefonieren, Whats App schreiben, Bilder posten, sich in der Social Media Welt verlieren. Wir sehnen uns nach Abwechslung, Freude und Spaß.
Die Frage nach der Ursache des „Ablenkungs-Phänomens“ können die Forscher noch nicht beantworten, doch sie sind um eine Erkenntnis reicher: Ablenkung scheint wesentlich attraktiver zu sein, als seinen Geist auf Wanderschaft gehen zu lassen, zu Tagträumen, sich selbst zu lauschen und frische Impulse aus der inneren Welt zu empfangen und in die Welt zu bringen.
Dabei ist seit langem bekannt, dass wir die besten Entscheidungen unbewusst, also ohne Anstrengung und Leistungsdruck, treffen, wie auch Alex Pouget, Professor und Hirnforscher an der Universität von Rochester erforschte.
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Nichtstun ist ein spannendes Abenteuer. Eine Entdeckungsreise in innere Welten, die keine äußere Welt je erreichen kann. Einst war das Nichtstun ein Privileg des Adels. Heute darf ein jeder ihm frei nachgehen. Nutzen wir die Kraft des Nichtstuns. Im Nichtstun werden neue Welten geboren. Die Tat bringt sie als frische Visionen auf die Erde.
http://www.sueddeutsche.de/wissen/psychologie-lieber-stroemschlaege-als-nichtstun-1.2029363
http://www.wissenschaft.de/home/-/journal_content/56/12054/3977346/Qualvoll:-Nichts-tun,-nur-denken/
http://science.sciencemag.org/content/345/6192/75
http://sciencev2.orf.at/stories/1637655/