Wissen ist Macht, Bildung der Grundbaustein für ein erfolgreiches, unabhängiges Leben. Was aber, wenn dieser auf einmal wegfällt und wir bzw. unsere Kinder nicht mehr die Möglichkeit haben, einwandfrei zu lernen? Homeschooling ist der Trend, welcher 2020 Einzug in die meisten Haushalte Deutschlands aber auch weltweit genommen hat. Experten sehen hier jedoch eine Gefahr für die Bildung und Entwicklung unserer Kinder und wir fragen uns, wo das Ganze hinführen soll und wie die Generation Z künftig ein Leben bewerkstelligen soll, in welchem Bildung so essenziell ist wie nie zuvor.
Vereinte Nationen warnen vor einer Katastrophe für eine ganze Generation
Von einem Tag auf den anderen waren unsere Schulen wie ausgestorben. Sowohl Schüler als auch Lehrer durften die Lernstätte nicht mehr besuchen, weil die Gefahr einer Ansteckung durch das neue Coronavirus zu hoch war. Das Problem dabei: Die Lehrer aber vor allem auch die Schüler waren für einen digitalen Unterricht, wie er im 21. Jahrhundert eigentlich schon längst hätte stattfinden können, nicht gewappnet.
Die Digitalisierung unserer Schulen steht bereits seit einigen Jahren auf dem Plan, schreitet jedoch nur schleppend voran. Die Generation Z muss das nun ausbaden, was laut einiger Experten eine Katastrophe für die gesamte Generation zur Folge haben kann, wenn nicht bald etwas passiert. Lehrer waren genauso überfordert wie die Eltern und die Schüler wussten sowieso nicht, wie sie mit der Situation umgehen sollten. Zunächst wurden in einigen Schulen die Aufgaben per E-Mail verschickt. Das war für viele Haushalte, die nicht über die nötigen technischen Utensilien wie Laptop, PC, Drucker oder überhaupt einer E-Mail-Adresse verfügten, bereits die erste Herausforderung. Danach ist erst mal nicht mehr viel passiert, wodurch eine enorme Bildungslücke entstand.
In anderen Schulen, wie beispielsweise dem Nicolaus-Cusanus-Gymnasium lief die Umstellung zwar zunächst ebenfalls ein wenig holprig ab, nach anfänglichem Improvisieren verlief der gesamte digitale Lernprozess jedoch ziemlich gut. Der Unterschied: Das Nicolaus-Cusanus-Gymnasium verfügt über eine ausgezeichnete technische Ausrüstung, welche die Umstellung von analog auf digital erleichterte. Die Schulen, die jedoch nicht über solche Möglichkeiten verfügten, blieben auf der Strecke. Die Folge sind enorm große Bildungsunterschiede, welche sich auf lange Sicht gesehen negativ auf die Zukunft der Kinder auswirken werden. So werden beispielsweise die Schüler, die in benachteiligten Schulen „unterrichtet“ wurden, Probleme haben, einen Job zu finden, welcher, wenn sie ihn bekommen, auch noch schlechter bezahlt wird als der jener Schüler, welche das Privileg hatten, in einer gut ausgerüsteten Schule lernen zu dürfen.
„Lernschwache“ Schüler bleiben durch Homeschooling auf der Strecke
Eine Lehrerin aus der Nähe von Köln, die an einer Hauptschule unterrichtet, erzählt in der Süddeutschen über ihre Erfahrungen während der Schulschließungen. Demnach hätte die Lehrerin neben vereinzelten guten Erfahrungen mit Schülern, die sich reinhängen und bei welchen auch die Eltern dahinter sind, dass die Kinder lernen, auch von Fällen, in denen sie seit der Schließung der Schule gar nichts mehr von jeweiligen Schülern gehört hätte.
Schüler werden von den Eltern teilweise abgekapselt und sind telefonisch überhaupt nicht erreichbar. Davon abgesehen, dass einige der Schüler, wie bereits oben erwähnt nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um den Unterricht digital mitverfolgen zu können. Die Lehrerin unterrichtet eine 6. Klasse, in welcher die meisten nicht mal über eine E-Mail-Adresse verfügen und auch Computer sind ihres Wissens nach gerade mal in vier der Familien vorhanden, während nur eine Familie über einen Drucker verfügt. Smartphones hätten die Kinder alle, aber wenn es darum geht, Lernapps zu verwenden, fehlt das nötige Wissen. Unter diesen Bedingungen ist ein digitaler Unterricht laut der Lehrerin schlicht nicht möglich und auch die Eltern stoßen an ihre Grenzen. Denn nichts liegt ihnen ferner, als dass die eigenen Kinder eine riesige Bildungslücke entwickeln.
Darüber hinaus sprechen manche der Eltern kaum Deutsch, was wohl auch die fehlende Kommunikation bzw. das nicht Abheben des Telefons erklärt, wenn die Nummer der Schule vernommen wird. Viele Lehrer erzählen von ähnlichen Situationen und davon, dass vor allem die Schüler schwer zu erreichen sind, welche den Kontakt zum Lehrer am nötigsten hätten. Viele dieser Schüler machen ihre Aufgaben gar nicht. Oft auch aus dem einfachen Grund, weil die nötige Ausstattung fehlt.
“Wie stark Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland zusammenhängen, sehen wir gerade wie unter einem Vergrößerungsglas,”
so Ilka Hoffmann, Vorstandsmitglied der Bildungsgewerkschaft GEW. in der Süddeutschen Zeitung.
Die Debatten laufen, aber reicht das?
Die Zuständigen sind sich einig darüber, dass diese Krise bei einigen größere, bei anderen kleineren Wissenslücken hinterlassen wird. Aus diesem Grund wird ausgiebig darüber debattiert, wie das Problem am besten gelöst wird.So schlug der Deutsche Lehrerverband Wiederholungsphasen und Förderkurse an, regte jedoch auch an, dass leistungsschwächere Schüler über eine freiwillige Wiederholung des laufenden Schuljahres nachdenken sollten. Kritiker sehen diesen Ansatz als „völlig unsozial” und auch wir finden diesen Vorschlag mehr als unfair, zumal die Schüler nichts für die Regeln können und durch die Wiederholung des Schuljahres kostbare Lebenszeit verlieren. Ilka Hoffmann spricht dabei sogar von “geraubter Lebenszeit”.
Unter Hochtouren wird hier nach Lösungen gesucht, wobei der Leitsatz „probieren geht über Studieren“ wohl großgeschrieben wird. Auch wenn die Schulen wieder geöffnet sind und werden, sind die Umstände, unter welchen unsere Kinder lernen sollen, fraglich. Über den gesamten Tag sollen die Schüler Masken tragen, die Fenster, wenn möglich, weit offen gehalten, auch im Winter. Da stellt sich uns die Frage, wie man unter solchen Umständen erfolgreich lernen soll. Um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, steht auch im Raum, die Klassen zu trennen. Die Stadt Solingen hatte hier bereits eine Initial-Zündung gegeben. Der Vorschlag wurde von der Landesregierung bisher jedoch abgelehnt.
Schülern droht künftig weniger Einkommen durch Wissensdefizite
Bildungsökonomen sehen schwarz für die Corona-Generation und rechnen mit enormen Nachteilen im Berufsleben. Der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft Gabriel Felbermayr beispielsweise kündigt an, dass die Schließung der Schulen für viele Schüler
„ihrem ganzen Berufsleben teuer zu stehen kommen wird“ – der Ausfall betrage „bis zu 50.000 Euro pro Schüler,“
so Felbermayr. Wenn es ums Lernen geht, sind lange Pausen der Tod. Insbesondere in den USA lässt sich das gut beobachten, da die Amerikaner im Schnitt zwei bis drei Monate Ferien haben. Grund dafür ist die Geschichte des Landes, da die Kinder früher bei der Ernte hatten helfen sollen. Experten sprechen hier vom sogenannten „summer learning loss“, wobei es nicht nur zum Stillstand des Wissensstandes kommt, sondern vor allem auch zum Rückschritt. Und auch hier zeigt sich wieder, dass vor allem diejenigen am meisten darunter leiden, die aus benachteiligten Verhältnissen stammen. Betuchte Familien schicken ihre Kinder teilweise in Sommerschulen, um der Wissenslücke vorzubeugen, wobei diese Schüler am Ende des Jahres oft sogar besser aufgestellt sind als zu Beginn des Jahres.
Leistungsschwächere Schüler jedoch fallen in der Corona-Krise noch weiter zurück, wenn die Bundesländer nicht gewaltig dagegen steuern und etwas unternehmen, um dies zu verhindern. Ansonsten wird es für diese Schüler fast unmöglich, den Rückstand noch aufzuholen. Dabei ist der Rückstand bereits jetzt enorm. Das zeigten alle Umfragen und Experten-Einschätzungen des Lehrerverbandes.
„Wenn wir es schaffen, mit digitalen Mitteln auch nur ein Viertel des Präsenzunterrichts zu ersetzen, können wir schon froh sein. Ich fürchte, es wird an vielen Schulen noch viel weniger sein.“
So eine Feststellung des Lehrerverbandspräsidenten Heinz-Peter Meidinger zu Beginn der Pandemie in einem Handelsblatt-Interview.
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Quellen:
https://www1.wdr.de/nachrichten/westfalen-lippe/corona-bilanz-schulen-100.html
https://www.sueddeutsche.de/bildung/coronavirus-homeschooling-chancengleichheit-1.4872417